Schamanismus ist ein kulturelles, vor allen Dingen religiöses Phänomen, das in ganz Nordeurasien verbreitet war, und teilweise heute wieder auflebt.
Der Ursprung des mongolischen Schamanismus liegt im Dunkeln. Verschiedene Forscher datieren seine Entstehung auf die Zeit vor 30, 20 oder 5 Tausend Jahren. Belegt ist die Existenz von Schamanen auf dem Gebiet der heutigen Mongolei für die Hunnu Zeit, vor etwa 2000 Jahren. Damals waren es oft auch die Herrscher, die die Funktion des Schamanen innehatten, und die großen jährlichen Rituale für den Himmel die Sonne oder den Mond durchführten. Während der Zeit des mongolischen Großreiches im 13. Jh. War der Schamanismus Staatskult und gab auch große höfische Schamanen, die bei allen wichtigen Entscheidungen zu Rate gezogen wurden. Ab dem 17. Jh. begann jedoch der tibetische Buddhismus sich endgültig in der Mongolei auszubreiten. Die Schamanen wurden verdrängt, ihre Geisterfiguren und Trommeln verbrannt, und Leute die weiterhin Schamanen aufsuchten, wurden bestraft. Der Buddhismus breitete sich zuerst unter den Ostmongolischen Fürsten aus, und einige waren dafür bekannt, besonders hart gegen die Schamanen vorzugehen. So wird Abdai Khan nachgesagt er habe 700 Schamanen bei lebendigem Leibe begraben lassen. In einigen abgelegenen Gebieten, vor allem im Norden und Osten der Mongolei, wurde der Schamanismus jedoch im Geheimen weitergeführt. Dort wehrten sich die Schamanen erbittert, und manchmal auch erfolgreich gegen die missionierenden Lamas. Hatte es bis zu dieser Zeit zwar weiße und schwarze Schamanen gegeben – die einen verkehrten mit den reinen weißen geistern des westlichen Himmels, die anderen mit den tückischen, schwarzen Geistern des östlichen Himmels – entstand nun der so genannte gelbe Schamanismus, der eine Vermischung aus lamaistischen und schamanistischen Elementen darstellt, und der geduldet wurde.
Nach der Gründung der Mongolischen Volksrepublik wurde in den 1930er Jahren rigoros gegen alles Religiöse vorgegangen. Die Verfolgung richtete sich vor allem gegen die buddhistischen Lamas, aber auch Schamanen wurden verhaftet und als Konter-Revolutionäre hingerichtet. Erst nach der demokratischen Wende zu Beginn der 1990er Jahre konnten Schamanen wieder öffentlich praktizieren. Es setzte eine regelrechte Revitalisierung ein, und seit dem steigt die Zahl der Schamanen beständig. Dies betrifft nicht nur ländliche Gebiete, auch in der Hauptstadt Ulaanbaatar haben sich etliche, teils konkurrierende Schamanen-Zentren und Verbände gegründet, die oft auch wirtschaftliche Interessen verfolgen.
Glaubensvorstellung und Rituale:
Dem mongolischen Schamanismus liegt die animistische Vorstellung zugrunde, dass alles in der Natur belebt und mit verborgenen Kräften ausgestattet ist. Eine besondere Bedeutung kommt hierbei dem ewigen blauen Himmel zu, der über alles herrscht. Der Himmel wird als Vater, die Erde als Mutter verehrt. In den verschiedenen Schichten und Teilen des Himmels existiert eine Vielzahl von Geistern, „Tengri“ genannt, deren Zahl mit 5, 33 meist mit 99 angegeben wird. Besonders Berge und Flüsse haben eigene Herren-Geister die „Lus Sawdag“ genannt werden, und die von der lokalen Bevölkerung verehrt werden. Was die Schamanen von anderen Menschen unterscheidet, ist die Fähigkeit mit diesen unsichtbaren Kräften zu kommunizieren, und so ein Gleichgewicht zwischen der Menschenwelt und der Geisterwelt herzustellen. Vor allem die „Ongod“, die schamanischen Ahnengeister spielen dabei eine große Rolle. Es sind die „Ongod“, die der Schamane während dem Ritual herbeiruft, und die ihm Antworten auf seine Fragen geben.
Es gibt sowohl männliche Schamanen, die „Böö“ oder „Zairan“ genannt werden, als auch Schamaninnen die „Udgan“ genannt werden. In der Mongolei wird das Amt des Schamanen meist vererbt, und es gibt etliche Schamanen die schon in der neunten Generation schamanisieren. Die Hauptaufgaben der Schamanen sind die Heilung von Krankheiten, die auf ein Wirken der Geister zurückgeführt werden, das Wahrsagen, und generell Erklärungen und Lösungen für Unglück jeglicher Art zu liefern. Dies tun sie, indem sie während des, oft nächtlichen, schamanischen Rituals, ihre Geister herbeirufen und befragen. Dies geschieht meist in Form einer Besessenheit – die „Ongod“ übernehmen den Körper und den Geist des Schamanen, und sprechen durch seinen Mund. Dieser Zustand wird oft als Trance oder Ekstase beschrieben, die der Schamane durch fortwährendes Trommeln und Tanzen erreicht. Zum Beispiel könnte er in diesem Zustand erfahren, dass die Krankheit oder das Unglück eines Mannes, für den er das Ritual durchführt, auf den Zorn eines bestimmten Berg-Geistes zurückzuführen ist, weil dieser Mann vielleicht auf dem Berg gejagt hat, ohne um die Erlaubnis des Geistes bitten. In diesem Fall muss der Geist durch bestimmte Opfer besänftigt werden, um das Unglück zu beheben. Das Schamanisieren gilt als sehr gefährliche Tätigkeit, da die Geister oft sehr wild und nur schwer zu kontrollieren sind. Der Schamane muss daher stets gewisse Regeln einhalten, und sich auf vielfältige Weise schützen. So werden Rituale zum Beispiel nur an bestimmten, nach dem Mondkalender, günstigen Tagen abgehalten. Bei kleineren Ritualen, die auch tagsüber stattfinden können, benutzen Schamanen allein eine Maultrommel um die Geister zu rufen. Dies wird als „zu Fuß-Schamanisieren“ bezeichnet. Bei schwereren Fällen ziehen sie dagegen ihre komplette Schamanenrüstung an, und verwenden eine große Rahmentrommel. Dies nennt man „berittenes Schamanisieren“ Die Anrufungen der Geister sind oft in Leid- oder Gedichtsform verfasst, und sind bei jedem Schamanen verschieden.
Die Ausrüstung des Schamanen: Bei der Ausübung der Rituale verwenden Schamanen eine Reihe von Gegenständen, deren Funktion vielfältig ist, und die eine sehr reiche Symbolik besitzen. Das wohl bekannteste Werkzeug des Schamanen ist seine Trommel. Sie ist einseitig mit dem Fell eines Hirsches oder einer Hirschkuh bespannt, und oft auch mit einem Bild ebendieses Tieres bemalt. Die Trommel gilt als Reittier, mit dem der Schamane in die Geisterwelt, und die Geister in die Menschenwelt reisen. Gleiches gilt auch für die Maultrommel, die meist aus Eisen gefertigt ist. Jedoch gilt die Trommel als das schnellere Pferd. Der Trommelschlegel ist oft mit dem Beinfelle eines Steinbocks bespannt, und besitzt neun Metallringe, die zusätzlich ein rasselndes Geräusch erzeugen. Der Kopfschmuck besteht aus einem breiten Stoffband, an dessen Oberseite Adler- oder Eulenfedern angebracht sind. An der Unterseite sind Fransen angenäht, die das Gesicht des Schamanen verdecken. Der Schamanenmantel, wird auch als Rüstung bezeichnet. An ihm sind unzählige schlangenähnliche Stoffbänder, Metallanhängsel sowie verschiedene Teile von Eichhörnchen, Luchs, Wolf und anderen wilden Tieren angebracht. Früher war der Mantel aus Wildleder gefertigt, heute wird oft Baumwollstoff verwendet. Die Schamanenstiefel sind aus dem Fell eines Rehbocks genäht. Sie verfügen oft über Metallanhängsel die beim Tanz ein rhythmisches Geräusch erzeugen. Sämtliche dieser schamanischen Gegenstände müssen rituell belebt werden um wirksam zu sein. Ihre Herstellung und Aufbewahrung unterliegen strengen Regeln.
Markus Pesch M.A. |